Vor der Tennisanlage standen jede Menge Autos. So viele, dass Lisa den großen, grünen Landrover gar nicht wahrnahm.
“Hoffentlich ist überhaupt noch ein Platz frei”, sagte Lisas Mutter und bezahlte den Taxifahrer. Die Anlage war zwar riesig, dafür aber auch sehr gut besucht. Viele Tennisspieler kamen aus Bergen und fuhren 25 Kilometer, nur um Tennis zu spielen.
“Sieh nur, Mama! Es hat sich nichts verändert”, sagte Lisa und schaute sich um.
“Doch, die Autos sind noch dicker geworden”, sagte ihre Mutter und lachte. “Offenbar gilt hier in Norwegen noch immer das alte Klischee: Wer Geld hat, spielt Tennis.”
“Ach Mama, Du weißt doch, dass man hier mit einem großen Auto besser unterwegs ist. Mit all dem Schnee und Eis im Winter, den Wäldern und dem unwegsamen Gelände. Mit einem Fiat 500 käme man da nicht besonders weit.”
“Ja, ja, ich weiß ja. Komm, lass uns mal ins Clubhaus gehen. Wahrscheinlich stehen da immer noch die Pokale aus der Zeit vor dem Krieg.”
“Ja, ich komme.”
Lisa hängte sich die Tennistasche über die Schulter und ging über den kleinen Trampelpfad in Richtung Clubhaus. Die vorderen Tennisplätze, an denen sie vorbeikamen, waren alle belegt. Auf Platz 5, ihrem einstigen Lieblingsplatz, spielten zwei Halbwüchsige und warfen sich üble Beschimpfungen an den Kopf. So ähnlich war es auch zugegangen, wenn sie früher mit ihrer Schwester Trixi gespielt hatte. Oder mit Nicolai . . . Er war ein exzellenter Tennisspieler gewesen.
Lisa schob die trüben Gedanken beiseite. “Ganz hinten ist noch ein Platz frei.” Ihre Mutter stand in der Tür des Clubhauses.
“Mir ist es völlig egal, wo der Platz ist. Hauptsache wir können überhaupt spielen.”
“Gut”, sagte Gitta, nahm ihre Tasche und schlug den Weg zum hinteren Teil der Anlage ein. Sie war für ihre 65 Jahre noch immer Top in Form. Schlank, gepflegt und körperlich fit. Wie schade, dass ihr Vater bald nicht mehr würde mithalten können. Lisa lief gedankenverloren hinter ihrer Mutter her, zwischen den Tennisplätzen durch. Es war ein ganzes Stück zu gehen, sie mussten fast die gesamte Anlage durchqueren.
“Hallo Lisa, das ist ja eine Überraschung!” Wie angewurzelt blieb sie stehen. Diese Stimme würde sie unter Tausenden erkennen. Sie hob den Kopf und sah direkt in Nicolais grüne Augen. Er stand auf der anderen Seite des Zauns auf einem der Plätze – in der einen Hand den Schläger, in der anderen zwei Bälle. “Du spielst noch?”, fragte er unvermittelt.
Lisa fasste sich schnell. Die zweite Begegnung mit ihm brachte sie nicht mehr so durcheinander wie die erste. “Warum sollte ich nicht mehr spielen?”
“Naja, Du hast mir doch erzählt, dass die Clubs in Deutschland . . .”
“Ich spiele tatsächlich nicht mehr regelmäßig”, fiel sie ihm ins Wort. “Heute bin ich mit Mama hier, sie hatte die Idee.”
Nicolai sah sich um, Gitta hatte ihre Tasche auf dem Nebenplatz abgestellt und packte gerade ihren Schläger aus.
“Ihr seid auf dem Nachbarplatz”, stellte Nicolai fest.
“Sieht so aus, ja.” Jetzt erst sah Lisa die Frau, die bisher am Netz gestanden hatte und nun auf sie zukam. Offenbar Nicolais Tennispartnerin.
“Hallo!”, sagte sie.
“Das ist Beatrice”, sagte Nicolai. “Meine Frau!”
“Hallo”, sagte Lisa, ohne ihr die Hand zu geben. Das war er nun also, der Moment, den sie immer gefürchtet hatte. Sie begegnete der Frau, deretwegen Nicolai sie verlassen hatte. Unspektakulär fand sie die Szene, viel unspektakulärer als in ihrer Vorstellung. Beatrice war klein und fast pummelig, hatte schwarzes und wie Lisa zugeben musste, sehr schönes Haar, das zu einem Pferdeschwanz gebunden war. Ihr Sportdress war exquisit und elegant, was man von ihrem Auftreten nicht sagen konnte. Sie war alles andere als freundlich. Widerwillig nickte sie Lisa zu – ohne einen Funken Interesse zu zeigen. “Können wir jetzt weiterspielen?”, blaffte sie Nicolai an.
“Sofort.” Er blieb ganz ruhig, drehte sich nicht einmal nach ihr um. Unverwandt schaute er Lisa in die Augen. Dann schüttelte er ganz leicht, eigentlich unmerklich, den Kopf. “Wie konnte ich nur?”, flüsterte er. “Ich habe einen riesigen Fehler gemacht, den größten meines Lebens.” Er lächelte Lisa zu, drehte sich um und lief zur Grundlinie.
“Du hast Aufschlag, Schatz!”, rief er.
Im Fjord der Liebe, Folge 8; ein Liebesroman alter Tradition, Kitsch und Herzschmerz inklusive – wie beim Groschenroman üblich.
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