Mitzi lehnte sich an den Türrahmen und gähnte. Nie hätte sie gedacht, dass ihr das frühe Aufstehen solche Schwierigkeiten bereiten würde. Aber nach drei Wochen im Dienst hinterließ der ständige Schlafmangel seine Spuren, daran hatte auch das wunderschöne Wochenende in Heiligendorf nichts ändern können. Die Saison hatte spürbar begonnen, das Hotel war fast ausgebucht und die Reitinger scheuchte ihre Angestellten herum als ging es um Leben und Tod.
Mitzi nahm den großen Wäschewagen und schob ihn in Richtung Aufzug. Es war neun Uhr und sie hatte die Zimmer im ersten Stock erledigt. Jetzt war sie auf dem Weg in die zweite Etage, die eigentlich Sandrines Job gewesen wäre. Aber die war wie so oft in letzter Zeit nicht gekommen. Angeblich war sie krank, was Mitzi nicht so recht glaubte. Aber sei’s drum. Für sie hieß das Mehrarbeit, denn für Sandrine gab es selbstverständlich keinen Ersatz.
Die Aufzugtür öffnete sich und Mitzi schob den Wäschewagen hinein. Aus dem großen Spiegel im Lift blickte sie ein müdes Gesicht mit dunklen Augenringen an. Ob es so eine gute Idee gewesen war, sich das Studium ausgerechnet als Zimmermädchen zu finanzieren? Mitzi drückte den Knopf zum zweiten Stock und die Aufzugtür begann sich langsam zu schließen.
“Halt, Mitzi, nehmen Sie mich mit!” Die Tür öffnete sich wieder und herein stürzte Max Ludenhoff. Mitzi erschrak.
“Herr Ludenhoff, was machen Sie denn hier?” Es war eng im Aufzug, der ausladende Wäschewagen nahm eine Menge Platz ein. Max stand dicht neben ihr, sein teures, aber dezent aufgetragenes Aftershave stieg ihr in die Nase. Sie mochte den Duft, wie sie mittlerweile alles an Max Ludenhoff mochte.
“Ich habe Sie gesucht. Frau Reitinger sagte mir, dass Sie heute auch im zweiten Stock arbeiten.”
Mitzi sah ihn an. Was wollte er von ihr? War er nicht zufrieden mit ihrer Arbeit? Hatte sich die Reitinger etwa über sie beschwert? Mitzi beobachtete, wie seine blauen Augen sie aufmerksam musterten, als suche er darin etwas.
“Schade, dass unser Mittagessen neulich nicht geklappt hat”, sagte er dann.
Ach, das war es. Mitzi ging ein Licht auf. Natürlich, der große Hotelier fühlte sich gekränkt, weil sie ihn versetzt hatte. Das passierte ihm vermutlich nicht sehr oft und selbstverständlich konnte er es nicht auf sich sitzen lassen.
“Oh, ja, entschuldigen Sie. Ein wichtiger Anruf . . . von zu Hause . . . ein Notfall . . .” Seine blauen Augen brachten sie völlig aus der Fassung. Selbst das schwindeln fiel ihr plötzlich schwer.
“Hoffentlich nichts Schlimmes?”
“Nein, nein. Alles wieder in Ordnung.”
Er rückte näher, sein Blick durchbohrte sie. Sie konnte sehen, dass er ihr kein Wort glaubte.
“Herr Ludenhoff, bitte”, sagte sie und trat einen Schritt zurück. Aber da war schon die Aufzugwand. Der Lift für die Mitarbeiter war um einiges kleiner als der für die Gäste.
“Mitzi, ich. . .” Seine Stimme war fast ein Flüstern. Er hob die Hand und strich sanft über ihre Wange. Mitzi war völlig gefangen im Gefühl des Moments. Ihre Ohren sausten, ihr Magen kribbelte, sie war unfähig sich zu wehren. Sie sah nur diese blauen Augen voller Liebe, die immer näher kamen.
“Max. . .”, hauchte sie und gab sich hin. Er küsste sie innig und leidenschaftlich, gleichzeitig vorsichtig und gefühlvoll. Für Mitzi war es der perfekte Kuss.
Sie ließen erst voneinander ab, als der Aufzug den zweiten Stock erreicht hatte und sich die Tür automatisch öffnete.
“Ich . . . muss . . . weiter . . “, sagte Mitzi leise und hielt sich am Wäschewagen fest. Ihre Knie zitterten. Wie gerne hätte sie diesen Augenblick festgehalten. Zum ersten Mal in ihrem Leben wünschte sie sich, der Aufzug wäre stecken geblieben.
“Mitzi, bitte warte . . .” Max hielt sie am Arm fest, aber Mitzi machte sich los. Nein, dachte sie. Sie war kein Mädchen für eine Affäre. Ihr Vater hatte nicht Tag und Nacht geschuftet in seiner Schuhmacherwerkstatt, damit sie sich mit einem Mann einließ, dem sie gesellschaftlich nie das Wasser würde reichen können. Ja, und der zudem verlobt war. Es würde ihrem alten Herrn das Herz brechen, wenn er erführe, dass sie sich weggeworfen hatte an einen, der es nicht ernst meinte. Einen, der sie nach ein, zwei fröhlichen Nächten durch ein anderes leichtlebiges Mädchen austauschen würde.
Mitzi schob den Wäschewagen aus dem Aufzug und ging den Gang entlang. Max gab nicht auf.
“Mitzi, bitte. Merkst Du nicht, welche Gefühle ich für Dich habe?” Er ging hinter ihr. Mitzi schob den Wagen immer schneller, als könnte sie ihrem Verfolger so entkommen.
“Bitte, Mitzi, nun bleib doch stehen.”
Mitzi hielt an und drehte sich um. Da stand er, atemlos, sein Haar zerzaust, mit verzweifeltem Blick. Mitzi ging das Herz auf, sie wollte nichts lieber als sich in seine Arme zu werfen und nie wieder losgelassen zu werden. Aber als er auf sie zu trat, ging sie einen Schritt zurück.
“Herr Ludenhoff, darf ich Sie daran erinnern, dass Sie verlobt sind?” Sie versuchte, soviel Kälte wie möglich in ihre Stimme zu legen. Dann holte sie den großen Schlüsselbund aus ihrer Schürze und öffnet die Tür zu Zimmer 211.
“Mitzi, lass mich das erklären, bitte. Komm in Deiner Mittagspause zu mir ins Büro.” Er fasste sie an der Schulter. Sie erschauerte erneut und drehte sich um. Sein sehnsüchtiger Blick ging ihr durch und durch. Es drängte sie, ihn zu küssen und alle Vorbehalte über Bord werfen. Doch da trat – wie so oft in den letzten Tagen – das Bild von Elisabeth beim Sportlerball vor ihr inneres Auge. Wie die erfolgreiche Reiterin in ihrem eleganten roten Kleid, stolz und mit erhobenem Kopf auf die Bühne gegangen war und ihrem Verlobten gedankt hatte für seine Unterstützung und Liebe. Voller Wehmut wandte sie sich von Max ab und betrat Zimmer 211.
“Ich warte auf Dich”, flüsterte er noch. Dann ging er den Flur entlang davon.
Hier geht’s zu Folge 19 von “Grandhotel Herz”.
Grandhotel Herz, Folge 18; ein Liebesroman alter Tradition, Kitsch und Herzschmerz inklusive – wie beim Groschenroman üblich.
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