Max ließ den Wagen ausrollen und stellte den Motor ab. Wie lange war er nicht mehr hier draußen an der Donau gewesen? Es war schön hier unter den schattigen Bäumen des Parkplatzes. Der Blick auf den Fluss war herrlich, im Wasser spiegelte sich die untergehende Sonne. Max stieg aus und setzte sich ins Gras am Ufer. Trotz des warmen Frühlingsabends, war der Ort wenig bevölkert. Ein Liebespaar saß auf einer Bank, eine ältere Dame führte ihren Beagle spazieren.
Er war früh dran. Mitzi würde erst in einer halben Stunde kommen. Das gab ihm ein bisschen Zeit, um den schwersten Schritt seines Lebens zu tun. Er würde ihr sagen müssen, dass das, was gerade zwischen ihnen begonnen hatte, bereits wieder vorbei war. Der Gedanke daran machte ihm das Herz unendlich schwer, aber er sah keine andere Möglichkeit. Sein Vater hatte ihn angefleht, die Angelegenheit mit Nadja diskret zu behandeln. Er habe sie damals geopfert, um seine gesellschaftliche Stellung nicht zu gefährden, hatte der alte Herr gesagt. Wenn nun, nach so langer Zeit, doch alles ans Licht käme, wäre er doppelt gestraft. Max hatte nur mit dem Kopf genickt und seinen Vater aus dem Büro geleitet.
Jetzt war es an ihm, eine große Liebe zu opfern. Die Familie und das Hotel standen an erster Stelle, das hatten die Eltern Max von Kindesbeinen an eingeimpft. Was das bedeutete war ihm spätestens klar geworden, als sein Bruder Carl mit Gabriella durchgebrannt war. Einer Frau unter Stand und Bildung, die die Eltern nie würde akzeptieren können. Auch jetzt nicht, nachdem die beiden verheiratet waren und drei gemeinsame Kinder hatten. Mutter und Vater erwarteten von ihm absolute Loyalität, da machten sie keine Kompromisse. Und er, Max, würde sich fügen. Er würde Elisabeth heiraten, die ihn erpresste und die er dafür hasste.
Max sah hinüber zu dem Liebespaar auf der Bank. Die beiden turtelten, neckten sich, küssten sich immer wieder. Sie waren ganz ineinander versunken und sich selbst genug. Warum war ihm ein solches Glück nicht vergönnt? Warum war er gezwungen, sein Leben mit einer Frau wie Elisabeth verbringen? Warum musste er Mitzi Adieu sagen, obwohl er doch wusste, dass es falsch war?
“Hallo Max!”, hörte er von hinten eine vertraute Stimme.
Er drehte sich um. Sie stand neben ihrem Fahrrad und lachte ihn an.
“Hallo Mitzi!” Max stand auf und ging ihr entgegen. Sie warf das Fahrrad ins Gras und sprang in seine Arme. Er küsste sie lange und innig.
“Ist das schön, Dich zu sehen”, hauchte er und sah wie sie strahlte. Ein Stich ging durch sein Herz.
“Komm, setzen wir uns ans Ufer.”
Er führte sie an die Stelle, wo er zuvor allein gesessen hatte.
“Ich bin froh, dass Du Dich heute gemeldet hast”, sagte Mitzi. “Ehrlich gesagt, hatte ich größte Befürchtungen, weil ich so lange nichts von Dir gehört habe.” Sie strich ihm über die Hand. “Was wolltest Du denn so dringendes mit mir besprechen?”
Er sah ihr ins Gesicht. Die feine Nase, die lachenden Augen, der sinnliche Mund. All das liebte er so sehr. Das Schicksal konnte unermesslich grausam sein.
“Meine Liebste”, begann Max und die Stimme drohte ihm zu versagen.
Sie blickte ihm erwartungsvoll in die Augen.
“Ich weiß nicht, wie ich es Dir sagen soll. Es fällt mir so unendlich schwer.”
“Was denn, Max?”
“Es geht einfach nicht.”
“Was geht nicht?”
“Wir können nicht zusammen sein.”
Die Erwartung in ihrem Blick verschwand. Hoffnungslosigkeit machte sich breit. Sie ließ seine Hand los und starrte auf den Boden.
“Das hab ich mir schon gedacht”, flüsterte sie.
“Glaub mir, ich möchte nichts lieber, als mein Leben mit Dir zu verbringen”, rief er verzweifelt. “Aber es geht nicht.”
Mitzi sah ihn nicht an. Er sollte nicht sehen, wie enttäuscht, wie getroffen, wie traurig sie über diese Nachricht war.
“Mein Vater legt größten Wert darauf, dass ich Elisabeth heirate. Er plant ein neues, sehr kostspieliges Geschäftsprojekt, bei dessen Realisierung er auf Elisabeths Einfluss und auch ihr Vermögen angewiesen ist. Mitzi, wenn wir zusammen bleiben würden, hätten wir nichts. Wovon sollten wir leben? Wohin sollten wir gehen?”
Mitzi riss zwei Grashalme aus und knotete sie aneinander. Dann sah sie ihn an.
“Wenn man sich liebt, ist alles andere egal. Das weißt Du so gut wie ich. Ich liebe Dich und ich würde überall mit Dir hingehen. Ich würde mit Dir unter dem Sternenzelt schlafen und von der Hand in den Mund leben, wenn es sein muss.”
Sie holte tief Luft, um ihre maßlose Enttäuschung zu unterdrücken.
“Aber ich kann verstehen, dass Du anders denkst. Du kommst aus einer anderen Welt, in der Geld, Macht und Ansehen eine große Rolle spielen. Ich kann nicht erwarten, dass Du das alles hinter Dir lässt. Du würdest vermutlich nicht glücklich werden. Und dann wäre ich es auch nicht.”
Wie recht sie hatte. Er war ein Verräter. Wie sollte er jemals wieder in den Spiegel schauen? Er hatte ihre große Liebe verraten für . . . Ja, wofür eigentlich?
“Mitzi . . .” Er nahm ihre Hand.
“Nein, Max, bitte. Lass mich jetzt gehen. Ich habe verstanden.”
Sie stand auf, strich ihren Rock glatt und ging langsam zu ihrem Fahrrad. Max drängte es, ihr hinterher zu gehen, alles zurück zu nehmen, was er gerade gesagt hatte. Aber er blieb sitzen, schwieg und sah ihr nach. Sah ihre hängenden Schultern, sah wie sie auf ihr Fahrrad stieg und davonfuhr. Wie sollte er nur ohne sie weiterleben?
Hier geht’s zu Folge 28 von “Grandhotel Herz”.
Grandhotel Herz, Folge 27; ein Liebesroman alter Tradition, Kitsch und Herzschmerz inklusive – wie beim Groschenroman üblich.
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