In sanften Kurven schlängelte sich die Landstraße von Bergen zurück nach Steinbek. Lisa hatte sich auf eine gemütliche Fahrt eingestellt. Bevor sie bei Mörk Industries vom Hof gefahren war, hatte sie das Dach des Mietwagens geöffnet. Jetzt genoss sie das herrliche Wetter und ließ sie sich den Fahrtwind um die Nase wehen.
Ihr Besuch beim alten Mörk war wenig überraschend verlaufen. Er hatte sich genau als das Ekel entpuppt als das er verschrien war. Wie konnte sich ein erwachsener Mann nur so unerhört benehmen?, fragte sich Lisa. Ausfallend zu werden, einer völlig fremden Person gegenüber, das musste man sich erstmal trauen.
Doch Lisa war zufrieden. Mörk hatte vor lauter Wut auf seine Söhne ganz vergessen, nach dem Grund ihrer Anwesenheit zu fragen. Dann nämlich wäre sie ins Schleudern geraten. Sie hatte keine wirklich gute Ausrede in der Hinterhand gehabt. So aber hatte sie alle Informationen bekommen, die sie hatte haben wollen – ohne, dass sie selbst irgendetwas hatte dazu tun müssen. Prima, dachte sie. Danke, Herr Mörk!
Lisa nahm den Zettel, der auf dem Beifahrersitz lag. Der Rechtsanwalt, den Mörk auf seine Söhne angesetzt hatte, musste in Dänemark leben. Seine Nummer jedenfalls hatte eine dänische Vorwahl. Bei Verlassen von Mörks Büro war Lisa die Idee gekommen, Frau Pöldahl nach den Kontaktdaten des Juristen zu fragen. Eigentlich hatte sie ja nicht mit einer Auskunft gerechnet, doch Frau Pöldahl hatte alles bereitwillig ausgedruckt und Lisa den Zettel gegeben. Offenbar hatte Mörks Sekretärin keine Ahnung davon, was es mit dieser Sache auf sich hatte.
Lisa hielt am Straßenrand. Am besten sie schob diesen Anruf nicht auf die lange Bank und rief Doktor Hansen sofort an. Nach dem zweiten Klingeln meldete sich ein Mann.
“Ja?”
“Doktor Hansen?”
“Am Apparat. Wer spricht?”
“Hier ist Lisa Kucher. Harald Mörk hat mir Ihre Nummer gegeben”, log sie.
“Ach, der gute Harald. Wie geht’s dem alten Haudegen?”
“Ich denke, gut. Er möchte unbedingt wissen, ob es Neues gibt bezüglich seiner Söhne.”
“Ja, ja, das dachte ich mir schon. Er ist immer noch so ungeduldig wie früher. Wie soll ich denn in ein paar Wochen rausfinden, wo Ole Unterschlupf gefunden hat? Ich hab ja schließlich auch noch andere Dinge zu tun.”
“Natürlich, natürlich”, sagte Lisa. “Sie sind sicher ein viel beschäftigter Mann. Aber Herr Mörk bezahlt sie fürstlich für Ihre Bemühungen. Wenn es um seine Familie geht, ist er stets sehr großzügig.” Lisa gefiel sich in ihrer Rolle. Was auch immer Doktor Hansen dachte, wer sie sei. Sie gab ihm das Gefühl, Bescheid zu wissen und Harald Mörk gut zu kennen.
“Geld regiert seine Welt, ja”, sagte der Anwalt. “Aber ich sag Ihnen jetzt mal was, junge Frau. Egal, wer Sie sind und was sie von mir wollen, diese Geschichte ist der Fantasie eines alten Mannes entsprungen. Das ist Paranoia und sonst nichts. Ole ist tot, ertrunken im Meer. Klar, das ist schwer zu akzeptieren für einen Vater. Aber auch Harald Mörk wird dies lernen.”
“Haben sie denn Anhaltspunkte?”
“Ich habe alle Freunde, Bekannte und Hotels abgeklappert. Von Ole keine Spur. Jetzt bleibt nur noch das ominöse Konto in Dänemark. Aber da komme ich nicht so leicht ran, Sie wissen schon, Bankgeheimnis und so.”
“Klar”, sagte Lisa.
“Ich bin mir sicher, dass sich auch diese Spur in Wohlgefallen auflösen wird. Ich sag es nochmal: Ole ist tot, ob es nun ein Unfall war oder Selbstmord. Er ist mausetot.”
“Dann hoffe ich in Harald Mörks Sinne, dass Sie bei Ihrer weiteren Suche doch noch erfolgreich sein werden. Ich danke Ihnen herzlich, Doktor Hansen. Auf Wiederhören.”
Lisa legte schnell auf und schaltete das Handy ab. Sie wollte unbedingt verhindern, dass der Anwalt Nachforschungen über sie anstellte. Er hatte genug erzählt, der Verdacht hatte sich offenbar nicht erhärtet. Lisa beschloss nach Hause zu fahren, ihre Eltern warteten schon mit dem Essen.
Eine halbe Stunde später fuhr Lisa über den Kiesweg zum Ferienhaus. Sie schloss das Dach des Wagens und stieg aus. Stimmen drangen aus dem Haus, darunter das glockenhelle Lachen ihrer Schwester. Offenbar amüsierte sie sich.
Als Lisa läutete, dauerte es eine Weile bis die Tür geöffnet wurde.
“Hallo Lisa!”, sagte jemand. Es war Brad.
Im Fjord der Liebe, Folge 33; ein Liebesroman alter Tradition, Kitsch und Herzschmerz inklusive – wie beim Groschenroman üblich.
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