Max starrte an die Decke. Der Morgen brach gerade erst an, aber er war schon seit Stunden wach. In seinem Kopf drehte sich alles. Noch vierundzwanzig Stunden und er würde mit Elisabeth vor den Traualtar treten. Er würde geloben, den Rest seines Lebens mit ihr zu verbringen, ihr in guten wie in schlechten Zeiten zur Seite zu stehen. Er war sich allerdings nicht sicher, ob es mit ihr jemals gute Zeiten geben würde. Wenn Max zurückdachte an die dreizehn Jahre, die ihre Beziehung jetzt schon dauerte, konnte er sich kaum an glückliche Tage erinnern. Zu sehr hatte Elisabeth das Geschehen dominiert, ihre eigenen Wünsche immer in den Vordergrund gestellt. Natürlich, er hatte es zugelassen. Aber insgeheim hatte er mehr Rücksichtnahme von ihr erwartet. Die aber hatte Elisabeth immer vermissen lassen. Die Aussicht auf weitere dreizehn Jahre mit ihr ließen Max erschauern.
Er stand auf und ging zum Fenster. Die Sonne ging gerade auf und im Innenhof des Hotels war alles still und friedlich. Die Stühle standen ordentlich um die Tische gruppiert, das Wasser des Pools war glatt und bewegungslos. Morgen würden sich hier all die Schönen und Reichen Wiens auf die Füße treten, um mit ihnen zu feiern. Obwohl es Max ganz und gar nicht zum Feiern zumute war.
Wenn er nur wüsste, wie er aus dieser verdammten Zwangslage entkommen könnte. Sein Vater machte es sich leicht. Er lud die gesamte Verantwortung auf die Schultern seines Sohnes. Ohne ein Wort der Reue oder des Dankes erwartete er, dass Max sein Leben opferte, um die Fehler seines alten Herrn auszumerzen. Der Mutter und der Familienehre zuliebe. Max liebte seinen Vater und er liebte das Leben im Hotel. Der Gedanke, den Betrieb demnächst allein zu führen, machte ihn tatsächlich glücklich. Aber er hatte auch ein Gefühlsleben, er hatte Mitzi kennengelernt und damit erstmals in seinem Leben die Aussicht auf ein erfüllendes Privatleben. Und das sollte er jetzt aufgeben? Alles in ihm sträubte sich dagegen.
Max ging ins Badezimmer, duschte und zog sich an. Vielleicht würde er sich nach dem Frühstück besser fühlen. Er nahm ein leichtes Jackett aus dem Schrank, öffnete die Tür und trat auf den Flur hinaus. Die Sonne strahlte durch das große Panoramafenster im obersten Stock des Hotels. Der Vater hatte es vor vielen Jahren einbauen lassen und damit die Beamten der Denkmalbehörde fast um den Verstand gebracht. Es hatte sich gelohnt, der Blick über die Stadt war herrlich, besonders jetzt im Morgenlicht. Es würde ein wunderschöner Tag werden.
Max ging zum Treppenhaus. Heute würde er auf den Aufzug verzichten und die acht Stockwerke zu Fuß nehmen. Schwungvoll öffnete er die Tür zum Treppenhaus.
“Oh, hoppla. Entschuldigen Sie bitte! Ach, . . . Mitzi . . . Du hier? Um diese Zeit? Ich weiß gar nicht, . . ..” Max war völlig verdattert, nie und nimmer hatte er damit gerechnet, Mitzi im achten Stock zu treffen.
“Hallo Max”, sagte Mitzi gefasst. Sie war weniger überrascht. Ihr war immer klar gewesen, dass sie sich früher oder später im Hotel über den Weg laufen würden. “Ich brauche frische Handtücher und unten in der Wäschekammer sind keine mehr. Da hat mich die Reitinger nach hier oben geschickt. Angeblich gibt es hier eine weitere Wäschekammer.”
“Ja, da hinten, . . . ganz links.” Max sah Mitzi an, als wäre sie eine Erscheinung. “Es ist wirklich schön, Dich zu sehen.”
Mitzi sah ihn traurig an und senkte dann den Blick.
“Tut mir leid, aber ich muss weitermachen”, sagte sie und schob sich an Max vorbei.
“Ja, natürlich. Klar. Ich . . . ich wünsche Dir . . . noch einen schönen Tag.”
Aber Mitzi war bereits den Gang entlang gelaufen und in der Wäschekammer verschwunden. Max blieb kurz stehen und schaute ihr nach. Dann drehte er sich um und trat ins Treppenhaus. Völlig verwirrt und aufgewühlt setzte er sich auf die oberste Stufe und verbarg das Gesicht in den Händen. Das war die Frau, die er liebte. Das war die Frau, die er eigentlich heiraten sollte. Das war die Frau, mit der er eine Zukunft haben würde. Verzweifelt fuhr er sich durchs Haar, dann stand er auf. Er würde mit seinem Vater reden und ihn auffordern, zu seinem Tun zu stehen. Die Mutter würde es überleben und die Familienehre allemal. Wichtig würde nur sein, wie man es den Klatschblättern am besten verkauft. Max fühlte sich gleich besser, seine Energie kehrte zurück. Nein, er würde sich sein Glück nicht zerstören lassen, nicht von einer bösen Schlange wie Elisabeth. Max stand auf und ging nach unten. Er nahm zwei Stufen auf einmal.
Hier geht’s zu Folge 33 von “Grandhotel Herz”.
Grandhotel Herz, Folge 32; ein Liebesroman alter Tradition, Kitsch und Herzschmerz inklusive – wie beim Groschenroman üblich.
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