Max unterdrückte ein Gähnen. Er war müde und konnte die ewig wiederkehrenden Gespräche nur noch schwer ertragen. Seit Stunden saß er nun schon im Restaurant des Hotels und machte Konversation. Er redete, war freundlich, hörte zu, lächelte oder schaute angemessen betroffen, wenn es nötig war. Insgeheim aber wünschte er sich weit weg, an einen Ort, an dem er mit Mitzi glücklich sein konnte und dieser Abend nichts mehr war als ein schlimmer Traum.
Elisabeth hingegen schien dies alles nichts auszumachen, sie war in ihrem Element. Die Hochzeit, ihr großes Ziel, vor Augen, lief sie zur Höchstform auf. Sie war der Star des Abends und sie genoss es auf – wie Max fand – fast schon obszöne Weise. In zwei Tagen würde die Trauung stattfinden und vorher plante Elisabeth noch einige Empfänge und Partys. Und Max wusste: Egal, wie sehr ihm der ganze Zirkus zuwider war, er hatte keine Wahl. Elisabeth hatte ihn in der Hand. Wenn er sich ihrem Spiel verweigerte, würde die Familie in einen Skandal versinken, von dem sie sich wohl kaum wieder erholen würde.
Er winkte dem Ober. “Brian, bitte, bringen Sie mir noch einen Whiskey!”
“Schatz!” Elisabeth legte ihre Hand auf seinen Arm und sah ihn an. Nur, wer sie wirklich kannte, hörte den leicht aggressiven Unterton. “Meinst Du nicht, Du hast schon genug getrunken?”
“Ach was”, erwiderte Max und musste erschreckt feststellen, dass er seine Zunge nicht mehr völlig unter Kontrolle hatte. Tatsächlich lallte er schon ein wenig.
“Ich denke, es ist besser”, zischte Elisabeth jetzt, “Du verabschiedest Dich diskret. Sofern Du dazu noch in der Lage bist.” Sie sah ihn drohend an.
Max seufzte. “Brian, Sie hören es. Mein Chef erlaubt mir keinen weiteren Drink.” Er versuchte zu lächeln, was ihm nicht gelang. Brian nickte und zog sich zurück. Ein mitleidiger Blick huschte über das Gesicht des Kellners.
Soweit war es also gekommen, dachte Max. Jetzt bemitleideten ihn schon die Angestellten. Er hätte glücklich werden können mit Mitzi an seiner Seite. Stattdessen saß er hier unter den Honoratioren Wiens und feierte eine Hochzeit, die er gar nicht wollte. Und als wäre das noch nicht genug, musste er sich von einer Verlobten, die er unter anderen Umständen längst zum Teufel gejagt hätte, bevormunden lassen. War es denn gerecht, dass er für die Sünden seines Vaters büßen musste? Nur, weil sein alter Herr seine Finger und auch Sonstiges nicht bei sich behalten konnte, sollte sein weiteres Leben ruiniert sein? So viel Ungerechtigkeit war nur mit einer großen Portion Whiskey zu ertragen.
Max nickte den Gästen am Tisch zu.
“Meine Herrschaften, wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen. Ich habe morgen einen langen Tag vor mir.”
“Selbstverständlich, Herr Ludenhoff”, sagte Hofrat von Brausewitz. “So eine Hochzeit ist anstrengend, das wissen wir alle. Und dabei meine ich nicht nur die Tage . . .” Er lachte unverschämt laut und bedachte Elisabeth mit anzüglichen Blicken. Max schob seinen Stuhl zurück und stand auf. Leichte Übelkeit stieg in ihm hoch. Elisabeth genoss auch dieses unwürdige Spiel. Max sah, wie sie die Hand des alternden Hofrats drückte und ihm ein verschämtes Lächeln schenkte. Ja, dachte Max, das schüchterne Mädchen geben, das konnte sie gut!
“Meine Verlobte wird Sie auch weiterhin bestens unterhalten, da bin ich sicher”, sagte er. Unter Aufbietung all seiner Kraft, bekam er seine Zunge halbwegs in Zaum. “Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.”
Er beugte sich zu Elisabeth und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. “Gute Nacht, meine Liebe”, sagte er, drehte sich um und verließ das Restaurant.
Hier geht’s zu Folge 31 von “Grandhotel Herz”.
Grandhotel Herz, Folge 30; ein Liebesroman alter Tradition, Kitsch und Herzschmerz inklusive – wie beim Groschenroman üblich.
]]>