“Geheimnis? Was denn für ein Geheimnis?” Max schüttelte ungläublig den Kopf. “Mein Vater ist seit zehn Jahren brav wie ein Lamm. Es gibt keine Heimlichkeiten mehr.”
“Tja, es gibt eben Geheimnisse, deren Folgen bis in die Gegenwart reichen.” Elisabeth hatte noch immer ihre Kampfmiene aufgesetzt. Wie ein Tiger, zum Angriff bereit, sah sie Max jetzt an. Die Flasche Bollinger war fast leer. Elisabeth trank Glas um Glas als wäre es Wasser. Sie war nervös, verletzt, vielleicht auch traurig. Seine Ankündigung, sie zu verlassen, hatte sie bei weitem tiefer getroffen als er vermutet hatte.
“Bitte Elisabeth, könntest Du etwas konkreter werden? Welches Geheimnis sollte mein Vater haben? Ich weiß nicht, wovon Du redest.”
Max wurde ungehalten. Er kannte Elisabeths Drohungen und wusste, dass sie meistens erfunden waren. Sie versuchte stets, andere Menschen unter Druck zu setzen. Offenbar glaubte sie, nur so die Kontrolle behalten zu können.
“Du glaubst mir nicht, was?”
“Nein, solange Du nur irgendwelches Zeug faselst, bin ich skeptisch. Erzähl mir, was los ist und bring mir Beweise. Ich kenne Dich Elisabeth. Im Erfinden von Unwahrheiten bist Du eine echte Meisterin.”
“Unwahrheiten? Schön wäre es. Hast Du Dich nicht mal gefragt, wo Dein alter Herr sich rumgetrieben hat, wenn er mal wieder zwei oder drei Wochen verschwunden war?”
“Natürlich habe ich mich das gefragt. Das würde doch jedes Kind tun. Ich habe sogar ihn selbst gefragt.”
“Aber eine Antwort hast Du nie bekommen, oder?”
“Er sagte, er brauche eine Auszeit vom Hoteltrubel und seinem anstrengenden Leben.”
“Ja, Auszeit könnte man es schon nennen”, sagte Elisabeth und lachte böse.
Max trank sein Glas leer und stellte es geräuschvoll auf den Tisch.
“Elisabeth, entweder Du sagst mir jetzt, was Du zu sagen hast, oder ich stehe auf und gehe. Ich werde Dich verlassen, mein Entschluss steht fest. Dieses Mal schüchterst Du mich nicht ein mit Deinen leeren Drohungen.”
Max war laut geworden, die Gäste an den anderen Tischen drehten sich bereits nach ihnen um.
“Ich würde Dir empfehlen, die Contenance zu wahren, mein Lieber. Sicherlich wirst Du nicht wollen, dass das gesamte Hotel von der Vergangenheit Deines Vaters erfährt.”
“Schluss jetzt”, sagte Max bestimmt und schob seinen Stuhl zurück. “Mir reicht es, Elisabeth. Es ist alles gesagt.” Er stand auf und wandte sich Richtung Ausgang des Restaurants.
“Max warte”, sagte Elisabeth und hielt ihn am Arm auf. “Dein Vater hat eine zweite Familie in Tschechien. Eine Frau und zwei Kinder.”
Max blieb stehen. Langsam drehte er sich um.
“Du lügst!”, sagte er. “Wie immer, wenn Du nicht mehr weiter weißt, erfindest Du hanebüchene Geschichten.”
“Max, bitte setz Dich”, sagte Elisabeth und schlug einen versöhnlicheren Ton an. “Ich habe Beweise.”
Max ging zu seinem Stuhl zurück. Lächelnd nickte er den Gästen zu, die interessiert zuschauten.
“Ich glaube Dir kein Wort.”
“Es muss vor etwas mehr als 20 Jahren gewesen sein, dass Dein Vater eine Frau in Tschechien geschwängert hat”, begann Elisabeth. “Katholisch wie sie da drüben nun mal sind, kam eine Abtreibung natürlich nicht in Frage. Wenn ich richtig informiert bin, sind es zwei Kinder, die mittlerweile erwachsen sind. Dein Vater muss sie mit erheblichen Geldmitteln unterstützen.”
“Woher weißt Du das?”, stieß Max hervor.
“Ich habe Briefe gefunden.”
“Du hast in der Korrespondenz meines Vaters gewühlt?”
“Ha, da musste ich nicht wühlen. Sie lagen offen auf seinem Schreibtisch. Ich könnte mir vorstellen, dass er mit den Jahren ein wenig nachlässig geworden ist.”
“Zeig sie mir!”
“Du glaubst doch nicht, dass ich so unvorsichtig war, einen der Briefe an mich zu nehmen.”
“Wusste ich es doch! Du lügst schon wieder.”
“Ich habe Kopien”, sagte Elisabeth und lächelte.
Max war entsetzt. Soviel Bösartigkeit hatte er nicht einmal Elisabeth zugetraut. Sie hatte die Briefe gefunden und war trotz des schrecklichen Inhalts noch immer geistesgegenwärtig genug gewesen, sie sofort zu kopieren. Elisabeth wusste in der Tat, wie man Dinge zum eigenen Vorteil nutzen konnte.
Max fasste sich wieder und sah sie hasserfüllt an.
“Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Du nicht die richtige Frau für mich bist, jetzt wäre er erbracht.”
“Mein Gott, Max. Jetzt hab Dich doch nicht so . . .”
“Nein, Elisabeth. Es ist aus und vorbei”, sagte er und stand erneut auf.
“Gut, mein Lieber. Dann werde ich die Kopien morgen in die Redaktion der Kronenzeitung geben. Die Schmierfinken dort werden sich sicherlich freuen….”
Hier geht’s zu Folge 24 von “Grandhotel Herz”.
Grandhotel Herz, Folge 23; ein Liebesroman alter Tradition, Kitsch und Herzschmerz inklusive – wie beim Groschenroman üblich.
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