Mit jedem Tag kam Mitzi der Hotelflur länger vor. Zimmer reihte sich an Zimmer und jedes von ihnen wollte sauber gemacht werden. 201, 203, 205 undsoweiter auf der rechten Seite, 202, 204, 206 undsoweiter auf der linken Seite. Mitzi schob den Wäschewagen vor sich her und klopfte an die Tür von Zimmer 201. Keine Antwort. Sie klopfte ein weiteres Mal. Wieder nichts. Mitzi zog den Generalschlüssel aus ihrer Schürzentasche und öffnete die Tür.
Hotelzimmer sahen irgendwie immer gleich aus, fand sie. Die Betten zerwühlt, Klamotten über den Stühlen, Handtücher auf dem Boden. Manchmal lief der Fernseher noch oder die Balkontüre stand sperrangelweit offen. Umso verwunderter war Mitzi, als sie das Zimmer mit der Nummer 201 betrat. Alles war an seinem Platz, das Bett frisch gemacht, die Handtücher am Haken, nirgends Klamotten. Hier hatte in dieser Nacht niemand geschlafen, soviel war klar. Sogar die Fernbedienung lag da, wohin sie sie immer aufräumte. Mitzi ging zurück auf den Flur zum Wäschewagen und kramte aus der Seitentasche den Belegungsplan heraus. Da stand es schwarz auf weiß: Zimmer 201 war bis übermorgen vermietet.
Noch einmal betrat Mitzi das Zimmer und jetzt fiel ihr ein brauner Umschlag auf, der auf dem Bett lag. Sie trat näher und betrachtete ihn von allen Seiten. “Für Kastlhuber” hatte jemand mit der Hand drauf geschrieben. Es war wohl eine Frau gewesen, mutmaßte Mitzi anhand der Schrift. Sie blickte sich um, dann nahm sie das Kuvert in die Hand und schaute hinein. Zwei große Bündel 100 Euro-Scheine fand sie darin sowie einen Zettel. Mitzi faltete ihn auseinander: ‘Das dürfte ja wohl endlich genug sein, oder? Du Schwein!’ stand da. Die Handschrift war dieselbe wie auf dem Umschlag. Mitzi drehte und wendete das Kuvert, aber mehr war nicht zu finden. Schließlich stopfte sie Geld und Zettel zurück und legte den Fund wieder auf das Bett. Plötzlich beschlich sie das Gefühl, es könnte besser sein, den Raum schnellstmöglich zu verlassen.
Mitzi zog die Tür von 201 ins Schloss und schob den Wäschewagen weiter. Zwei Leute kamen den Gang entlang, Mitzi hörte sie leise flüstern.
“Wie blöd kann man eigentlich sein?”, fragte die Frau. “Was, wenn das Zimmermädchen den Umschlag gefunden hat?”
“Ach, Elisabeth, Du siehst Gespenster”, antwortete der Mann. “Ein gewöhnlicher Umschlag interessiert doch kein Zimmermädchen.”
“Mein Gott, Kastlhuber! Ich frag mich, wie Du es jemals geschafft hast, einen Ball zu treffen. Natürlich ist ein umherliegender Umschlag interessant für ein Zimmermädchen. Du hast keine Ahnung, wie neugierig diese jungen Dinger sind. Schau nur, da vorne läuft eine von ihnen. Ich nehme an, Nummer 201 hat sie bereits erledigt.”
“Gut, komm, lass uns nachschauen, ob alles in Ordnung ist.” Kastlhuber öffnete die Tür zu 201 und die beiden verschwanden im Zimmer.
Mitzi blieb stehen. Das war Freifrau von Krumau gewesen und dieser widerliche alternde Fußballspieler, den sie vor kurzem im Fernsehen gesehen hatte. Was hatten denn die beiden miteinander zu schaffen? Und vor allem zu flüstern? Mitzi hatte kein gutes Gefühl. Irgendetwas ging nicht mit rechten Dingen zu.
Die Tür von 201 öffnete sich wieder und Freifrau samt Fußballspieler traten auf den Flur. Mitzi versteckte sich hinter dem Wäschewagen.
“Nochmal Glück gehabt, mein Lieber”, hörte sie die Freifrau sagen.
“Nächstes Mal gebe ich besser acht, versprochen.”
“Es wird kein nächstes Mal geben, mein Freund. Du hast weitaus mehr Geld bekommen als ausgemacht war. Das muss reichen. Mehr ist der tollste Preis nicht wert.”
“Ein Preis für Anmut, ha, der hat einen besonderen Wert, oder?” Kastlhuber lachte schallend.
“Du hast keinen Grund, Dich lustig zu machen. Immerhin sitzt Du in der Jury. Pass lieber auf, dass Du nicht wieder alles auf einmal durchbringst. Es ist das sauer verdiente Geld meines Vaters.”
“Ich werde es gut anlegen.”
“Ja”, Elisabeth lachte sarkastisch. “In Autos, Frauen und Lotteriescheine.”
Mehr konnte Mitzi nicht hören, die beiden hatten sich in Richtung Aufzüge entfernt. Sie schloss das nächste Zimmer auf und musste sich dort erst einmal setzen. Es war eindeutig, dass die Freifrau und Kastlhuber ein dunkles Geheimnis teilten und sie zur Mitwisserin geworden war. Ob Max davon Kenntnis hatte? Wie so oft trat sein Gesicht vor ihr inneres Auge, seine liebevollen Augen, sein freundliches Lächeln. Mitzi seufzte. Warum nur hatte er sie verlassen? Ob die Freifrau vielleicht auch hier ihre Finger im Spiel hatte?
Hier geht’s zu Folge 32 von “Grandhotel Herz”.
Grandhotel Herz, Folge 31; ein Liebesroman alter Tradition, Kitsch und Herzschmerz inklusive – wie beim Groschenroman üblich.
]]>