Dieser Gaston geht mir sowas von auf den Nerv, sag ich Euch. Am liebsten würde ich ihm eine scheuern. Geht’s Euch nicht genauso?
Schon wieder saß Yves auf dem Plastikstuhl. Der Klinikflur war nach wie vor leer, obwohl es mittlerweile Morgen war. Ab und an lief eine Schwester im Schnellschritt vorbei. Vor einer halben Stunde war Gaston in dem Arztzimmer verschwunden und Yves wartete, dass er wieder heraus kam.
Nachdem Gaston endlich angezogen gewesen war und im Porsche saß, war Yves wie ein Verrückter zurück ins Krankenhaus gefahren. Sie hatten auf dem ganzen Weg nichts gesprochen. Zum einen hatten sich die beiden Männer nichts zu sagen, zum anderen hatte Gaston Stöpsel im Ohr, mit denen er offenbar Musik hörte. Jedenfalls hatte sein rechtes Bein in einem bestimmten Takt gewippt. Yves war in die Klinik gestürmt, Gaston mehr oder weniger hinter sich herziehend.
Jetzt ging die Tür des Arztzimmers auf und Gaston trat zusammen mit dem Doktor auf den Gang. “Tja, Monsieur Cariol”, sagte der Arzt. “Es tut mir sehr leid, dass ich Ihnen nichts Positiveres sagen kann.” Yves erhob sich von seinem Plastikstuhl. “Und?”, fragte er. “Wie geht es ihr?”
Der Arzt würdigte ihn keines Blickes und gab Gaston die Hand. “Auf Wiedersehen Monsieur!”, sagte er.
“Auf Wiedersehen, Docteur Leroc”, sagte nun auch Gaston. “Ach, das ist übrigens Yves LeGrand. Er wohnt neben uns und ist unsterblich in meine Schwester verliebt.” Gaston grinste Yves frech an. “Ich denke, Hèlene hätte sicher nichts dagegen, wenn Sie künftig in allen Angelegenheiten mit ihm sprechen würden. Gaston, das ist Docteur Leroc.” Er blickte sich suchend um. “Wo ist denn der Ausgang?”, fragte er. “Ich muss leider los, Du weißt schon Yves, mein Surfwettbewerb. Ich nehm ein Taxi. Salut!” Schon lief er den Gang entlang und ließ Yves mit dem Arzt allein.
Yves schüttelte den Kopf und sah dem Arzt ins Gesicht. “Docteur Leroc, würden Sie mir jetzt bitte Auskunft geben?”
“Kommen Sie herein!”, sagte Docteur Leroc widerwillig und ging vor Yves durch die Tür. Das Zimmer war winzig, weiß und sehr karg eingerichtet. Ein Schreibtisch, dahinter ein Stuhl, davor ein Stuhl, darauf ein Computer. Neonlicht erhellte den Raum, der kein Fenster hatte. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass es sich um ein Arztzimmer handelte, hätte im hinteren Eck nicht ein künstliches Gerippe gestanden. Yves setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. Wieder ein Plastikstuhl, der auch noch wackelte.
“Gut”, sagte Docteur Leroc nachdem er hinter dem Schreibtisch Platz genommen hatte. Dann tippte er auf die Tastatur und Yves glaubte zunächst, er habe ihn schon wieder vergessen. Yves räusperte sich.
“Ach ja, Monsieur . . . wie war noch gleich ihr Name?” Jetzt sah ihn der Arzt zum ersten Mal an.
“Yves LeGrand, Docteur. Würden Sie mir jetzt bitte sagen, was Madame Cariol fehlt?” Yves wurde langsam ungehalten.
“Um es kurz zu machen”, sagte Docteur Leroc und schien es plötzlich sehr eilig zu haben. “Madame Cariols Nieren spielen nicht mehr mit.”
“Und was heißt das?” Yves rutschte nach vorne auf die Kante des Plastikstuhls.
“Ihre Nieren haben aufgehört zu arbeiten, ganz einfach. Nierenversagen nennt man das.”
“Kann man da etwas tun?”
“Wir geben ihr Medikamente und warten, dass die Organe sich wieder erholen. Bei den meisten Patienten ist das der Fall, aber eine Garantie gibt es nicht.” Der Arzt lehnte sich zurück.
“Oh!” Yves musste sich sammeln. Das war ein furchtbarer Schlag. “Und wenn sie sich nicht wieder erholen?”, fragte er nach einem kurzen Moment.
“Dann bleibt nur die Dialyse oder eine Transplantation”, sagte der Arzt trocken.
“Mein Gott”, war alles, was Yves erwidern konnte.
“Hören Sie, Monsieur LeGrand”, sagte der Arzt und lehnte sich vor. “Im Moment können wir noch nicht viel sagen. Wir müssen abwarten. Madame Cariols Bruder sagte, seine Schwester habe ich letzter Zeit sehr viel zu tun gehabt und sei dabei an ihre körperliche Grenze gelangt.”
“Ja, das stimmt”, sagte Yves. “Der Laden und jetzt die Ernte. Sie hat fast Tag und Nacht gearbeitet.”
“Das muss auf jeden Fall aufhören. Sie muss sich schonen, harte Arbeit wird sie nicht mehr leisten können. Wir behalten sie zunächst hier und warten, wie sich ihr Zustand entwickelt.”
Yves lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Resigniert ließ er die Hände in den Schoß sinken. Nierenversagen! Eine furchtbare Diagnose. Wie sollte Hèlene weiterleben? Würde sie es schaffen, kürzer zu treten? Und wer sollte die Oliven versorgen?
“Kann ich sie sehen?”, fragte Yves leise und richtet sich auf.
“Natürlich”, sagte Docteur Leroc und stand auf. “Kommen Sie mit!”
Hier geht’s zur Folge 10 von “Olivenzweige”
Olivenzweige, Folge 9; ein Liebesroman alter Tradition, Kitsch und Herzschmerz inklusive – wie beim Groschenroman üblich.
Eine Antwort
sue
Ach du,
ich hoffe, du machst es uns nicht all zu schwer, denn das ist ja hier ein hartes Programm, ich weiß, aber du schreibst Groschenroman und ich hoffe und will wie immer eine Happy End.
So und der Bruder Gaston, schieß ihn zum Mond. Ich helf mit.
LG Sue