Da hat sich Yves ja ganz schön was aufgehalst. Die ganze Meute der Erntehelfer in Schach halten und sich außerdem mit Nichtsnutz Gaston rumärgern. Und dann auch noch die Sorgen um Helène. Ob er das alles schafft?
Yves wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Ernte hatte noch gar nicht angefangen, und er war schon völlig erledigt. Allein das Registrieren der Helfer erschöpfte ihn komplett. Wie Helène das nur alles schaffte?, fragte er sich zum wiederholten Mal.
Yves schob den Stuhl zurück, streckte seinen Rücken durch und holte tief Luft. Er musste nun den Hänger aus dem Schuppen holen. In einer Stunde, so rechnete er, würden die ersten Helfer mit vollen Kisten kommen und dann musste der Hänger bereit sein. Gerade als Yves sich aufmachen wollte in den Schuppen, kam Gaston zur Tür heraus – in den neuesten, hippen Sportklamotten, das Surfbrett unter dem Arm.
“Wo willst Du denn hin?”, fragte Yves und stellte sich unwissend.
“Mein Gott, Yves”, sagte Gaston. “Hab ich Dir doch schon hundert Mal gesagt. Der Surfwettbewerb, weißt Du noch? Oder bist Du schon senil?”
“Werd bloß nicht frech, Gaston!” Yves musste sich zusammennehmen. Die Art und Weise, wie Helènes Bruder mit ihm sprach, gefiel ihm überhaupt nicht. Mit welchem Recht benahm er sich derart herablassend und unfreundlich? “Ich fordere Dich auf, diesen dämlichen Wettbewerb sausen zu lassen und endlich mal Verantwortung zu übernehmen”, sagte er streng. “Deine Schwester liegt schwerkrank im Krankenhaus. Nicht, dass ich von Dir Mitleid für ihre Situation erwarte, nein. Aber der Hof und die Olivenernte sind jetzt wirklich Deine Aufgabe und nicht meine.”
“Ich finde, Du machst das ganz prima”, sagte Gaston ironisch und lachte. “Außerdem kannst Du Dir damit ein paar Pluspunkte bei meiner Schwester verdienen. Sie wird Dir sicherlich sehr dankbar sein. Vielleicht lässt sie Dich dafür sogar mal ran.”
“Ist es Dir wirklich völlig egal, was mit ihr ist?” Yves war fassungslos und hatte keine Erklärung für Gastons Verhalten.
“Natürlich nicht”, sagte Helènes Bruder. “Aber meine Schwester neigte schon immer zum Drama. Wenn sie etwas hat, dann immer gleich richtig. Ein bisschen erkältet geht bei ihr einfach nicht.” Er lief zum Auto. “Tut mir leid, ich muss jetzt wirklich los. Ach ja, und erschrick nicht, falls Du der Kleinen von heute Nacht begegnest. Ne echt scharfe Braut, sag ich Dir. Ich glaube, sie liegt noch oben im Bett. Vielleicht hast Du ja Ambitionen . . .” Gaston nickte Yves aufmunternd zu, dann stieg er ins Auto und verschwand.
Yves ging ins Haus. Wenn er wütend war, brauchte er eiskaltes Wasser. Und er war wütend. Er war so wütend, dass er sich nicht sicher war, ob er das kalte Wasser trinken oder es sich lieber gleich über den Kopf schütten sollte. Wenn es nach ihm ginge, würde Gaston vom Hof fliegen und enterbt werden. Aber die Befugnis hatte er natürlich nicht. Er ging zum Kühlschrank, nahm die Wasserflasche heraus und trank sie in einem Zug aus.
Jetzt war ihm wohler. Mit Gaston würde er schon fertig werden, dachte er als er wieder ins Freie trat. Genauso wie mit Horace.
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Olivenzweige, Folge 12; ein Liebesroman alter Tradition, Kitsch und Herzschmerz inklusive – wie beim Groschenroman üblich
Eine Antwort
sue
alles wird gut, ich vertrau drauf. Sue