Die Familie hat’s ganz schön in sich. Noch ein Bruder!
Sie setzten sich an einen Tisch ganz hinten in der Ecke. Lisa rutschte auf die Bank, Frederik nahm den Stuhl ihr gegenüber.
“Ich nehme einen Cappuccino, und Du?”, sagte er.
“Für mich dasselbe”, antwortete Lisa.
Als die Kellerin gegangen war, trommelte Frederik mit den Fingern auf den Tisch. “Nun aber raus mit der Sprache”, sagte er. “Was hat Hedwig alles erzählt?”
“Eigentlich nicht viel”, sagte Lisa. “Dass Dein Bruder Ole nicht mehr zurückkam von einem Segelausflug. Und dass alle davon ausgehen, dass er sich umgebracht hat.”
“Ja, das ist Hedwigs Version”, sagte Frederik. “Meine Familie glaubt nicht an Selbstmord, wir denken, es war ein Unfall. Es kann leicht passieren, dass der Mast Dich mit voller Wucht erwischt und vom Boot fegt. Vielleicht ist Ole ins Wasser gestürzt und in eine Strömung gekommen oder einen Sog. Wer weiß das schon? Das Meer ist unergründlich und sehr gefährlich.”
“Ja.” Lisa konnte Frederik nur beipflichten. Seit sie für das Ozean-Magazin arbeitete, erfuhr sie immer wieder von seltsamen, ja fast mystischen Dingen, die sich auf hoher See und manchmal auch im flachen Wasser abspielten. Lisa hatte daraus ihre Lehren gezogen. Sie hatte das letzte Mal als Kind im Meer gebadet.
“Aber, dass man seine Leiche nie gefunden hat?”
“Das ist für meine Familie in der Tat das Schlimmste”, sagte Frederik. “Ich mag mir gar nicht ausmalen, was da geschehen ist.”
Die Kellnerin brachte den Cappuccino und Lisa nippte an der Tasse.
“Warum glaubt Hedwig, dass Ole sich umgebracht hat?”
“Ole und mein Vater haben sich nie verstanden”, antwortete Frederik. “Es ist sicherlich nicht leicht, mit meinem alten Herrn auszukommen, aber Ole und er – die beiden waren wirklich wie Feuer und Wasser.”
Lisa sah Frederik an. Irgendetwas an der Geschichte stimmte nicht, das spürte sie genau. Sie suchte einen Hinweis in seinem Gesicht.
Frederik hielt ihrem Blick stand. Seine Augen waren weich und warm, völlig ohne Argwohn. Er lächelte, nahm wie aus heiterem Himmel ihre Hand und legte sie an seine Wange. “Was schaust Du mich so an?”, fragte er.
Ertappt blickte Lisa nach unten. Frederik sollte nicht sehen, dass sie schon wieder rot geworden war. Sie wich seiner Frage aus.
“Warum habt Ihr die Firma nicht einfach verkauft, nach Oles Tod?”
“Nein, das wäre nicht gegangen!” Frederik ließ ihre Hand los und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. “Für Knut ist es in jedem Fall besser, wenn er ein großes und finanzkräftiges Unternehmen im Rücken hat. Sein Leben soll auf jeden Fall gut sein. Dafür bin ich in die Bresche gesprungen und habe die Firma übernommen. Obwohl ich viel lieber weiter als Hochseeangler gearbeitet hätte. Weißt Du, ich liebe das Meer über alles.”
Lisa sah ihn ungläubig an. War das möglich, dass ein Mensch so selbstlos war? Dass er aus reinem Verantwortungsgefühl ein Leben lebte, das er nicht liebte?
“Wie kommt Deine Mutter mit dem Vater zurecht?”, fragte Lisa. “Von ihr hast Du bisher gar nicht gesprochen.”
“Meine Mutter ist gestorben als wir noch Kinder waren. Für Knut war das damals eine vollkommene Katastrophe, er war völlig auf sie fixiert. Ole ist ihm dann so gut es ging beigestanden, aber Mama konnte er natürlich nicht ersetzen. Du kannst Dir vorstellen, was es für ein Schock für Knut war, von Oles Tod zu hören.”
“Mein Gott, ja!” Lisa war bestürzt.
“Du siehst, außer der Firma ist Knut nicht mehr viel geblieben. Jetzt, wo Ole tot ist.”
Hier geht’s zur Folge 27 von “Im Fjord der Liebe”
Im Fjord der Liebe, Folge 26; ein Liebesroman alter Tradition, Kitsch und Herzschmerz inklusive – wie beim Groschenroman üblich.
Eine Antwort
sue
Hmmmmm, na mal sehen, was das Gespräch noch so in sich birgt.
LG Sue