Und? Wie gefällt Euch der Anfang der neuen Geschichte? Von Australien nach Norwegen, das ist ganz schön weit, ich weiß. Aber ich hatte die Nase voll von Hitze und staubigen Straßen, von Rindern und Tiertränken. Jetzt wird’s klimatisch zwar kühler, aber die Story könnte ganz schön heiß werden.
Lisa legte das Besteck auf den Teller. “Frida, Sie haben wunderbar gekocht. Ein würdiges Empfangsmenü.”
“Ja, da kann ich meiner Tochter nur beipflichten. Allerdings wollen wir das nicht zur Gewohnheit werden lassen. Sie haben mit ihrer eigenen Familie zu tun. Ab morgen koche ich selbst. Genauso wie ich es früher auch getan habe.”
Frida lächelte und räumte den Tisch ab. Wie viele Jahre war es nun her, dass Familie Kocher nach Steinbek kam? Es mussten mehr als 20 sein. Sie hatte die beiden Töchter aufwachsen sehen, die quirlige, charmante Trixi, die keine Mittsommerparty und kein Dorffest ausgelassen hatte und die introvertierte, erdenschwere Lisa, die so glücklich gewesen war. Bis, ja bis Nikolai diesen unerklärlichen Schritt getan hatte.
“Puh, bin ich müde”, sagte Lisa. “Es war doch eine lange Reise. Brad, Du musst völlig erledigt sein, vorgestern noch in Los Angeles, dann Berlin und heute schon in Norwegen.”
“Das kannst Du wohl sagen.” Brad fuhr sich durchs Haar. “Mir fallen schon die Augen zu. Ich werde mich jetzt entschuldigen und ins Bett gehen. Gute Nacht alle zusammen.” Er schob den Stuhl zurück, stand auf und verließ das Esszimmer.
“Tja, ich denke, wir werden uns auch zurückziehen. Oder, was meinst Du, Karl?” Lisas Mutter unterdrückte ein Gähnen.
“Eigentlich bin ich überhaupt noch nicht müde”, antwortete Lisas Vater. “Am liebsten würde ich gar nicht mehr schlafen. Ich möchte keine Sekunde vergeuden, in der mein Kopf noch so richtig funktioniert.”
“Aber gerade dann solltest Du schlafen. Sonst bist Du morgen gerädert und kannst den Tag überhaupt nicht genießen.”
“Ach, Gitta, ich weiß es ja”, sagte der Vater traurig und stand auf. Er wandte sich an Lisa. “Und Du, Liebes? Bleibst Du noch auf?”
“Ja, Papa. Ich setze mich ein wenig ans Fenster. Das Meer ist so herrlich im Abendlicht.”
“Pass nur auf, dass Dich Deine Erinnerungen nicht einholen, mein Kind. Du hast lange genug getrauert. Ich möchte Dich nicht mehr weinen sehen.”
Lisa drückte ihrem Vater einen Kuss auf die Wange. “Gute Nacht, Papa. Schlaf gut!”
Sie nahm ihr Glas und setzte sich in den großen Ohrensessel, von dem aus sie den Garten, den Steg und vor allem das Fjord sehen konnte. Es war zwar schon Juni, aber am Abend noch immer empfindlich kalt. Lisa wickelte sich in die Wolldecke ein, die sie noch so gut von früher kannte. Früher! Sie konnte nicht vermeiden, dass ihre Gedanken in die Vergangenheit reisten. Damals war dieses Haus ein Symbol des Glücks für sie gewesen. Das Haus, das Meer, ganz einfach Norwegen. Hier lebte der Mann, den sie liebte. Und wenn sie ehrlich war zu sich selbst, der einzige, den sie je geliebt hatte. Acht Jahre lang hatten sie zusammengehört, nichts und niemand hatte sie trennen können. Und dann plötzlich, aus heiterem Himmel, war dieser Brief gekommen.
Lisa nahm einen Schluck aus ihrem Glas. Die Sonne war schon hinterm Horizont verschwunden, aber es würde nicht dunkel werden, das wusste sie. Gerade diese hellen Nächte hatte sie einst geliebt, die einen glauben machten, der Tag würde nie enden. An genau so einem Abend hatte sie Nikolai zum letzten Mal gesehen. Er hatte sie zum Flughafen gebracht. Sie wollte nur kurz zurück nach Berlin, ihre Wohnung auflösen und die restlichen Sachen holen. Aber drei Tage später hatte sie die Nachricht in ihrem Briefkasten gefunden. Er könne sie nicht heiraten, hatte er geschrieben. Fertig, aus und vorbei, sie solle sich bitte nicht mehr bei ihm melden und seine Entscheidung akzeptieren.
“Lisa?” Frida stand in der Tür. “Lisa? Ist alles in Ordnung?”
“Ja”, antwortete Lisa und wischte sich eine Träne aus dem Auge.
“Du weinst ja!” Frida war näher gekommen.
“Nein, ich hab nur etwas im Auge.”
“Du kannst Nikolai noch immer nicht vergessen, stimmt’s?”
“Ach Frida, es hört einfach nie auf, weh zu tun.”
“Komm her, mein Schatz!” Die ältere Dame setzte sich auf die Armlehne des Sessels und nahm Lisas Hand. “Es tut mir sehr leid, was damals geschehen ist. Und Nikolais Beweggründe kann ich noch immer nicht verstehen. Vor allem, wenn ich mir die Frau ansehe, die er dann tatsächlich geheiratet hat.” Frida machte eine Pause. “Und trotzdem”, fuhr sie fort. “Du musst nach vorne schauen. Brad ist doch ein netter Bursche, hat Erfolg, Geld und sieht gut aus. Mehr kann man doch nicht verlangen von einem Mann.”
“Ich weiß ja, dass Du Recht hast, Frida. Es ist nur . . .”
“Was, mein Kind?”
“Brad berührt mein Herz nicht. Ich genieße die Zeit mit ihm, er ist meistens lustig, zeigt mir die Welt und aus mir völlig unerklärlichen Gründen liebt er mich. Ja, das tut er.”
“Und Du? Liebst Du ihn?”
“Nicht so wie ich es mir wünschen würde.”
Lisa blickte auf. “Ich sagte ja schon, er berührt mein Herz nicht.”
Hier geht’s zur Folge 3 von “Im Fjord der Liebe”
Im Fjord der Liebe, Folge 2; ein Liebesroman alter Tradition, Kitsch und Herzschmerz inklusive – wie beim Groschenroman üblich.
Eine Antwort
HerzVonSchmerz
“Brad Pott fuhr sich durchs Haar”. Hahaha!!! Endlich wieder ein klarer Unsympath! Danke, Carole!