Tja, manchmal kann es doch auch von Vorteil sein, wenn man auf dem Land lebt. Man trifft zwar ständig Leute, die man kennt. Aber ab und zu gibt es auch einen, der wichtiges zu erzählen hat. Oder einen, der aus der Patsche hilft – nur weil man mit ihm gemeinsame Erinnerungen teilt.
“Nehmen Sie doch bitte hier kurz Platz. Herr Gruber kommt sicher gleich.” Judith setzte sich auf den ihr zugewiesenen Stuhl. Sie war noch nie in einer Redaktion gewesen, trotzdem hatte sie es sich anders vorgestellt. Sie hatte mehr Umtrieb, mehr Lärm, einfach mehr Leben erwartet. Hier saß jeder vor seinem Computer, starrte auf den Bildschirm oder schrieb etwas, andere tuschelten leise am Telefon. “Hallo Judith! Was führt Dich denn zu mir?” Klaus Gruber betrat das kleine Büro. Er hatte sich nicht verändert. Noch immer blitzten seine braunen Augen vor Neugier, waren seine Hände ständig in Bewegung und gewichtsmäßig hatte er trotz fortschreitenden Alters noch immer nicht zugelegt. Er war lang und schlaksig und sein Interesse an Mode war offenbar nach wie vor nicht vorhanden. Er trug Turnschuhe und Jeans, die wahrscheinlich beide aus den 90ern stammten. Aber er war charmant wie eh und je und sein Lächeln umwerfend. Judith stand auf und gab ihm die Hand. “Hallo Klaus. Schön, dass Du Zeit für mich hast.” “Na, ist doch logisch”, sagte Klaus. “Wie lange kennen wir uns? 25 Jahre? Jedenfalls erinnere ich mich noch an unsere Einschulung. Beim Gruppenfoto hatte ich immer Deinen wippenden Pferdeschwanz vor der Nase.” Er lachte. “Du machst so ein ernstes Gesicht. Worum geht es denn?” Judith sah ihn an. “Ich brauche Deine Hilfe!”
Seit ihrem Besuch im Büro des alten Breimeier hatte Judith fieberhaft überlegt, wie und mit wessen Hilfe sie herausfinden könnte, ob die Formel tatsächlich zur Konkurrenz gelangt war. Klaus Gruber war ihr recht schnell eingefallen. Der Chefredakteur einer Lokalzeitung hatte doch die besten Kontakte und außerdem würde sich niemand wundern, wenn er sich ein bisschen umhörte. Rumfragen und recherchieren gehörte doch zum Job eines Zeitungsmannes. “Oje, ob ich Dir da helfen kann?”, sagte Klaus Gruber nachdem Judith die Geschichte erzählt hatte. “Das klingt ja mehr nach Wirtschaftskriminalität als nach Mobbing und Zickenkrieg. Wenn die Formel wirklich an Clareté gegeben wurde, dann ist das eine Riesensache. Das ist Dir doch klar, oder?” Judith lief im Zimmer auf und ab. “Natürlich”, sagte sie händeringend. “Deshalb dachte ich mehr an eine Art . . . Undercover-Recherche.” “Undercover-Recherche, aha. Und was soll ich mir darunter vorstellen?” Klaus war sichtlich amüsiert. “Nun gut, ich dachte eben . . . wenn Du etwas rausfindest . . . dass Du es nicht veröffentlichst.” Judith blieb stehen. “Meinst Du, das wäre möglich?” “Möglich ist alles, meine Liebe”, sagte Klaus. “Fragt sich nur, was ich davon hätte? Wir bei der Zeitung leben von Skandalen, die wir veröffentlichen. Nicht von Skandalen, die wir unter den Teppich kehren.” “Ich weiß, ich weiß”, sagte Judith beschwichtigend. “Ich kann Dich verstehen. Ich bitte Dich doch nur, vorsichtig zu sein bei den Nachforschungen. Wenn wir Beweise haben und wissen, wer der Verräter ist, dann steht einer Veröffentlichung ja nichts im Weg. Aber erst muss ich meinen Ruf retten und da wäre es nett, wenn Du zunächst nur Deine Kontakte spielen lassen würdest. Du hast doch Kontakte, oder?” Klaus Gruber hatte sich an seinen Schreibtisch gesetzt und spielte jetzt mit einem Kugelschreiber. “Ich kenne einen Wirtschaftsredakteur bei der Neuen Presse in Passau. Der ist ziemlich gut vernetzt und kann mir bestimmt weiterhelfen.” “Danke Klaus, ich danke Dir!” Judith war ehrlich erleichtert. “Es ist wirklich von großer Bedeutung für mich. Vielen, vielen Dank.” “Ist schon gut”, sagte Klaus Gruber und nahm die Hand, die Judith ihm hinstreckte. “Ich tu’s gern. Schließlich warst Du immer die Hübscheste in unserer Klasse.” Er zwinkerte ihr zu. “Danke und wir hören voneinander.” Judith öffnete die Tür und ging hinaus.
“Ach, übrigens”, rief Klaus plötzlich. “Sagt Dir der Name Nick Wanninger etwas?” Judith blieb wie angewurzelt stehen. “Ja”, sagte sie und drehte sich um. Klaus stand in der Tür. “Den treffe ich jeden Donnerstag in der Sauna. Und weißt Du was? Letzte Woche hat er mir genau dieselbe Geschichte erzählt. Und dass die Wahrheit für ihn von großer Bedeutung sei. “Aha”, war alles, was Judith sagen konnte. “Ja”, sagte Klaus, “er sprach davon, dass es um die Reputation einer Person gehe, die er kennt und die ihm sehr am Herzen liegt.”
Hier geht’s zur Folge 17 von “Herzschmerz hautnah”
Herzschmerz hautnah, Folge 16, ein Liebesroman alter Tradition, Kitsch und Herzschmerz inklusive – wie beim Groschenroman üblich.
Eine Antwort
sue
Ohhhhh, der letzte Satz ist ja soooo schöööön. Ach, Nick wird mir ja richtig sympatisch …Sue