“Sag mal Mitzi, ist mein Tafelspitz wirklich so ungenießbar?”
“Bitte?” Mitzi schaute von ihrem Teller auf und Tante Gertrud sah, dass sie weinte.
“Na, Du stocherst jetzt schon seit einer Viertelstunde in Deinem Essen herum, isst aber keinen Bissen. Schmeckt es so schrecklich?”
“Aber nein, Tante Gertrud. Natürlich nicht.” Mitzi schob eine Gabel in den Mund, bekam aber sofort einen Würgreiz. Nein, sie konnte nichts essen. Ihr Magen war wie zugeschnürt.
“Was ist denn nur mit Dir los, mein Kind? Seit Tagen bist Du völlig verschlossen, isst nichts und wirst immer dünner. Wie ein Rehlein siehst Du mittlerweile aus.”
Gertrud schaute sie durchdringend an.
“Hat es mit Deinem Traumprinzen zu tun?”
Mitzi legte das Besteck zur Seite und schlug die Hände vors Gesicht.
“Ach, Tante Gertrud. Ich bin so unglücklich”, schluchzte sie.
Getrud stand auf und umschlang den bebenden Rücken ihrer Nichte, die jetzt hemmungslos weinte.
“Mitzi, mein Gott, was ist denn passiert?”
“Es ist alles aus, er hat mit mir Schluss gemacht!”
“Oh nein”, sagte Tante Gertrud nur und empfand nichts als Mitleid. Sie schüttelte den Kopf. Es war doch immer dasselbe mit den Männern.
“Angeblich kann er seine Verlobte nicht verlassen, weil der Hotelbetrieb auf Elisabeths Geld angewiesen ist.”
Mitzi schluchzte und weinte, sie war völlig aufgelöst.
“Das war der Grund?”, fragte Gertrud entgeistert. “Das kann doch nicht sein Ernst gewesen sein?”
“Doch”, rief Mitzi verzweifelt. “Er hat unsere Liebe verkauft.” Sie sah auf und wiederholte leise: “Ja, er hat unsere Liebe verkauft.”
“Das ist mal wieder typisch Mann!” Jetzt konnte auch Tante Gertrud nicht mehr mit ihrer Meinung hinterm Berg halten. “Immer den Weg des geringsten Widerstands gehen. Die haben einfach kein Rückgrat, die Jungs.”
Mitzi stand auf und lief in der Küche auf und ab. “Ich kann es einfach nicht glauben. Er liebt mich doch, das spüre ich. Irgendetwas stimmt da nicht. Irgendetwas stinkt da zum Himmel.”
“Ach Mitzi.” Tante Gertrud setzte sich wieder. “Es tut mir so leid, dass Dir diese Erfahrung nicht erspart bleibt. Wenn eine Liebe auf diese Art zu Ende geht, sucht man immer nach Erklärungen und seien sie noch so abstrus.”
Mitzi überhörte Tante Gertruds Einwurf. Sie blieb plötzlich stehen und starrte wie gebannt auf den kleinen Fernseher in der Ecke, der schon den ganzen Abend ohne Ton lief. Da war Max. In einem schicken schwarzen Dreiteiler lief er über den roten Teppich, der zum Eingangsportal des Grandhotel führte. An seinem Arm ging Freifrau von Krumau, rechts und links standen die Angestellten des Hotels Spalier und klatschten Beifall. Mitzi stellte den Fernseher lauter. “. . . ein gesellschaftliches Ereignis, wie es Wien schon seit längerer Zeit nicht mehr gesehen hat”, sagte die Sprecherin. “Die Freifrau in einem cremefarbenen Kleid von Armani, dessen Kreationen sie ja bekanntlich verfallen ist und Max Ludenhoff. . . meine Damen, Sie werden mir wohl zustimmen, dass dieser Mann einfach unverschämt gut aussieht . . Max Ludenhoff also in einem gedeckten Anzug. Ja, liebe Zuschauer, heute ist alles da, was in Wien Rang und Namen hat, die Ludenhoffs lassen sich nicht lumpen, jetzt wo endlich einmal standesgemäß geheiratet wird. Sie erinnern sich sicherlich noch, dass der andere Sohn, Carl, mit einem Zimmermädchen durchgebrannt ist. Was für ein Schlag für die Familie . . .”
Mitzi drehte den Ton wieder ab. Wortlos starrte sie auf die Bilder.
“Mitzi?” Tante Gertrud trat neben sie. “Ist das . . . ? Nein, das glaube ich nicht . . .? Du hast Dich doch nicht etwa in Max Ludenhoff verliebt, oder?”
Mitzis Augen füllten sich erneut mit Tränen. Sie nickte kaum merklich.
“Oh, mein Kind!” Gertrud nahm ihre Nichte in den Arm. “Was hast Du Dir nur dabei gedacht?”
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Grandhotel Herz, Folge 29; ein Liebesroman alter Tradition, Kitsch und Herzschmerz inklusive – wie beim Groschenroman üblich.