“So, jetzt erzähl mir mal von Deinem Traumprinzen.” Gertrud steckte sich eine Zigarette an und zog den Rauch tief ein. Sie saß mit Mitzi auf ihrem kleinen Balkon, der nach Westen ging. Die Abendsonne war herrlich und schuf genau die richtige Atmosphäre für eine Unterhaltung nach dem Essen. Eine Unterhaltung über Männer.
“Ach, Gertrud”, schwärmte Mitzi. “Er ist einfach so wundervoll. Nicht nur, dass er blendend aussieht. Er ist liebevoll, freundlich und humorvoll. Ich bin im siebten Himmel. Damit hätte ich nie gerechnet, als ich nach Wien gekommen bin.”
“Das freut mich für Dich. Und er hat tatsächlich seiner Verlobten den Laufpass gegeben?”
“Ich denke, er wird es in genau diesen Minuten tun.” Mitzi strahlte.
Gertrud sah sie an. “Was macht Dich so sicher, mein Kind?” Ihr Gesichtsausdruck hatte sich mit einem Mal verändert und Mitzi war das nicht verborgen geblieben.
“Er liebt mich und ich liebe ihn. Wir wollen zusammen sein. Das ist doch Grund genug, oder?” Mitzi stutzte. “Was hast Du denn plötzlich, Gertrud?”
“Ach Kind, ich möchte nur nicht, dass Du enttäuscht wirst.”
“Mach Dir keine Sorgen. Er wird mich nicht enttäuschen. Ich habe es in seinen Augen gesehen. Glaub mir, man kann ihm vertrauen!” Mitzi drückte Gertruds Arm.
“Ich wünsche es Dir, Mitzi. Ich wünsche es Dir sehr.”
Mitzi trank einen Schluck Wein und schaute in den Himmel. “Wie schön die Abendsonne ist, nicht wahr?”, sagte sie schwärmerisch. “Ich wünschte, Max wäre hier . . .”
Gertrud stand auf und ging hinein. Seltsam, dachte Mitzi. Sonst war ihre Tante immer fröhlich und aufgeschlossen, hatte stets einen Scherz auf den Lippen. Und nun war sie einsilbig und wortkarg, so ganz gegen ihre Natur. Hatte sie Vorbehalte gegen Max? Vielleicht, weil er sich in der Wiener Gesellschaft bewegte? Oder, weil er Geld hatte? Hatte sie vielleicht kompromittierende Geschichten über ihn in den Zeitschriften gelesen?
“Warum bist Du denn auf einmal so traurig?”, fragte Mitzi, als Gertrud wieder auf den Balkon trat.
“Ich bin nicht traurig.”
“Was ist es dann?”
“Weißt Du Mitzi, ich war auch einmal jung und verliebt. Sehr verliebt sogar.”
“Ja?” Mitzi machte es sich in ihrem Stuhl bequem. Eine Liebesgeschichte mit Tante Gertrud in der Hauptrolle, das war spannend.
“Er hieß Albert, hatte blondes Haar und braune Augen. Eine unwiderstehliche Kombination, wie ich damals fand.”
“Woher kanntest Du ihn?”
“Ich hab ihn in Sydney getroffen, auf meiner ersten und bislang einzigen Überseereise. Stell Dir vor, er wohnte auch in Linz, wie ich. Da war ich um die halbe Welt gereist, um einen Mann zu treffen, der quasi um die Ecke wohnte. Das habe ich ganz klar als Vorsehung gewertet.”
“Das kann ich verstehen”, sagte Mitzi und lachte. Tante Gertrud war offenbar genauso romantisch wie sie selbst.
“Wir waren vom ersten Moment an unzertrennlich. Nach vier Wochen flogen wir zusammen zurück und er zog bei mir ein.”
“Wie lange ist das her?”
“Etwa 30 Jahre würde ich sagen. Es war während meiner Ausbildungszeit. Er war Journalist oder zumindest wollte er einer werden. Ein klassischer Weltverbesserer, überall sah er Verschwörungen, die es aufzudecken galt. Ständig war er unterwegs, hatte die abenteuerlichsten Ideen. Aus den meisten seiner Geschichten wurde nichts, weil sich nach kurzer Recherche rausstellte, dass einfach nichts dran war. Aber mir war das egal, ich liebte ihn.”
“Aber was ist passiert?” Mitzi ahnte, dass die Story kein gutes Ende genommen hatte.
“Nach etwa einem Dreiviertel Jahr hab ich erfahren, dass ich nicht die einzige Frau in Alberts Leben war.”
“Oh, das ist ja schrecklich.”
“Für mich ist eine Welt zusammengebrochen. Ich war völlig am Boden, konnte nicht fassen, dass ich mich so in ihm getäuscht hatte. Dass er mir bei weitem mehr bedeutet hat, als ich ihm.”
“Kanntest Du die andere Frau?”
Gertrud zögerte. “Ja, ich kannte sie. Ich hatte ihr monatelang von Albert vorgeschwärmt, sie wusste also, was er für mich war. Und trotzdem hat sie . . .” Gertrud schlug die Hände vors Gesicht. Mitzi strich ihr sanft über den Rücken. Was musste sie nur für diesen Albert empfunden haben, dass der Schmerz heute, nach 30 Jahren, noch immer so stark war?
“Was ist denn aus Albert geworden?”
“Ich habe keine Ahnung.” Gertrud sah auf, eine Träne rann über ihre Wange. “Als sein doppeltes Spiel aufflog, hat er seine Koffer gepackt und ist zu ihr gezogen. Er liebe sie, hat er gesagt. Und zwar nur sie. Er habe mir eine Trennung nicht zumuten wollen, deshalb sei er bei mir geblieben.” Gertrud wandte den Blick ab und sah in die Ferne. “Ich fühlte mich so elend damals. Nicht nur, dass er mich Monate lang betrogen hatte. Er musste mir am Ende auch noch erklären, wie wenig ich ihm bedeutet habe.”
Mitzi schauderte. Kein Wunder war ihre Tante skeptisch in Bezug auf Max. Offenbar hatte sie nie mehr einen anderen Mann geliebt. Mehr noch, sie trauerte Albert noch immer nach. Jetzt wusste Mitzi auch, warum Gertrud ein großes A an ihrem Schlüsselbund trug.
“Weißt Du, ob die beiden zusammen geblieben sind?”
“Nein, sind sie nicht. Ein paar Wochen nachdem Albert zu ihr gezogen war, hat sie ihn rausgeschmissen. Wahrscheinlich war er dann nicht mehr interessant für sie. Ist ja auch langweilig, ein Mann, den man nur für sich alleine hat, den man nicht teilen muss.” Jetzt wurde Gertrud sarkastisch.
“Wie hieß die Frau eigentlich?”, fragte Mitzi.
“Lydia”, sagte Gertrud. “Sie hieß Lydia.”
Mitzi blieb der Mund offen stehen. “Meine Mutter hieß auch Lydia”, sagte sie naiv.
“Ja”, sagte Gertrud. “Eben.”
Hier geht’s zu Folge 23 von “Grandhotel Herz”.
Grandhotel Herz, Folge 22; ein Liebesroman alter Tradition, Kitsch und Herzschmerz inklusive – wie beim Groschenroman üblich.
Eine Antwort
Sue
Oh, du hast ja die – mir fehlt das Adjektiv – Ideen…..Sue