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Grandhotel Herz, Folge 6

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Soll ich Euch was verraten? Ich liebe Wien. Es ist einfach die entspannteste Stadt, die ich kenne. Der Gegenentwurf zu Paris. Was nicht heißen soll, dass ich Paris nicht mag, im Gegenteil. Aber in Wien ist alles irgendwie langsam, gemächlich, ruhig und total easy. Das hat was. Wenn’ s nur nicht so weit weg wäre . . .

Riesige, alte Häuser umgaben Mitzi, fast ein wenig bedrohlich sahen sie aus.
Riesige, alte Häuser umgaben Mitzi, fast ein wenig bedrohlich sahen sie aus.

“Hier ist die Schinaglgasse, junges Fräulein. Da müssn’S aussteigen.”
“Oh, ja, dankschön.” Mitzi sprang von ihrem Sitz auf, nahm ihre Tasche und hüpfte zur geöffneten Bustür hinaus. Sie hob kurz die Hand, um dem Busfahrer noch einmal zu danken, aber der fuhr bereits los, seinen Weg fest im Blick. Mitzi schaute hinterher, bis er am Ende der Straße abbog und verschwunden war.

Riesige, alte Häuser umgaben sie, fast ein wenig bedrohlich sahen sie aus. Der Gehweg war schmal, die Straße auch. Zwei Autos konnten gerade so aneinander vorbeifahren. Aber die Leute schienen hier ohnehin mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Mitzi sah jede Menge Kinder, die auf dem Gehweg umher liefen oder Fußball spielten. Gegenüber war ein kleines Gemüsegeschäft, direkt daneben verkaufte jemand Schuhe. Naja, wenn auch eher die Sorte Bequemschuhe.

“Kann ich Ihnen helfen, mein Fräulein?” Mitzis Kopf fuhr herum. Eine ältere Dame stand vor ihr. Sie trug einen hübschen blauen Mantel und ein Hütchen, dessen Schleier kokett vor ihrem Gesicht auf und ab wippte. In der Hand hielt sie einen Korb mit Lebensmitteln. “Na, jetzt schaun’S doch net so ängstlich”, sagte sie freundlich. “Ich beobacht’ Sie schon eine Weile und hab das Gefühl, Sie wiss’n nicht so recht wohin.”

“Ja, das stimmt. Ich such meine Tante, die wohnt in der Schinaglgasse. Das ist doch hier, oder?”
“Na, des hier ist die Habermehlstraße. Die Schinaglgasse ist gleich da vorne links. Welche Hausnummer suchn’S denn?”
“Neun.”
“Da müssn’S noch ein Stückerl gehen. Wie gesagt, vorne links und dann die Gass’n hoch, auf der rechten Seite san die ungeraden.”
“Danke.” Mitzi sah auf die Uhr. Viertel vor vier. Ob Tante Gertrud schon zu Hause war? Sie arbeitete in einer nahegelegenen Buchhandlung, das hatte sie am Telefon berichtet. Und Buchhandlungen schlossen gewöhnlich nicht vor sechs. Das hatte sie bei ihrer Reiseplanung völlig vergessen. Mitzi sah sich um. Die ältere Dame war weitergegangen, die Straße hinunter.

“Entschuldigen Sie”, rief Mitzi und rannte hinterher.
“Ja?”
“Noch eine Frage: Gibt es hier in der Nähe eine Buchhandlung?”
“Jo, was Se olles wiss’n woll’n. Die anzige Buchhandlung, die ich kenn, ist die Römer’sche. Aber die ist drei Straßen weiter.” Es folgte eine wortreiche, aber verständliche Erklärung des Weges und Mitzi verabschiedete sich dankend.

Fünf Minuten später blickte Mitzi durchs Schaufenster der Römer’schen Buchhandlung. Es war ganz schön viel los da drinnen, kein Wunder, es war ja auch Samstag. Ein Mann stand an der Kasse, eine Frau auf einer Leiter kramte oben in einem Regal. Offenbar bediente sie eine junge Mutter mit Baby auf dem Arm, die am Fuß der Leiter lebhaft gestikulierte. Mitzi betrat den Laden.

“Kann ich Ihnen helfen?”, fragte der Mann sofort.
“Äh, ja, äh, ich suche Getrud Gruber.”
“Die hat gerade Kundschaft. Ich kann Ihnen aber gerne auch ein paar unserer neuesten Beststeller zeigen.”
“Danke, das ist lieb. Aber ich suche kein Buch, ich suche Getrud Gruber.”
“Da müssen Sie sich einen Moment gedulden”, sagte der Mann und klang dabei ein klein wenig unwirsch.

Die Frau war mittlerweile von der Leiter gestiegen. Sie war Mitte 40, hatte kurzes, braunes Haar, trug einen grünen Rock und eine gemusterte Bluse. Sie lächelte als sich ihre Blicke zufällig streiften und Mitzi fielen die wachen und fröhlichen blauen Augen auf.
“Gertrud, da ist jemand für Dich”, hörte sie den Mann jetzt sagen.
“Ich komme . . . Ja, ich kann Ihnen versichern, das ist ein Standardwerk bei Stillproblemen. Dieses Buch hat schon vielen in Ihrer Situation geholfen.” Die junge Mutter nahm das Buch und ging zur Kasse.

“Ich nehme an, Du bist Mitzi.” Getrud streckte ihr die Hand hin und lächelte wieder, dass ihre Augen blitzten.
“Ja, bist Du Tante Gertrud?”
“Oh, bitte. Ohne Tante. Das macht mich noch älter als ich ohnehin schon bin.” Sie lachte erneut.
“Ok”, sagte Mitzi. “Gertrud.”
“Ja, ich bin Getrud. Mei, mei, genauso hab ich mir Lydias Tochter vorgestellt. Du schaust Deiner Mutter sehr ähnlich, weißt Du das?”

Mitzi lächelte.
“Und jetzt willst Du also Medizin studieren in Wien. Ich freu mich sehr, dass ich Dich dabei unterstützen kann.”
“Vielen Dank Tan… äh Gertrud, dass ich bei Dir fürs Erste unterkommen kann. Ist nicht so leicht eine Wohnung zu finden, wenn man sich so gar nicht auskennt.”
“Ist doch selbstverständlich, mein Kind.” Sie sah auf die Uhr. “Leider hab ich noch nicht Feierabend. Aber, warte, ich geb Dir meinen Schlüssel, dann kannst Du auf jeden Fall schon mal in die Wohnung.” Sie holte ihre Tasche und gab Mitzi einen dicken Schlüsselbund, an dem ein großes A als Anhänger baumelte.

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Grandhotel Herz, Folge 6; ein Liebesroman alter Tradition, Kitsch und Herzschmerz inklusive – wie beim Groschenroman üblich.

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